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Als die Fotos lügen lernten ...


Ob wir heute den Fernseher anschalten, ins Kino gehen oder eine beliebige
Illustrierte aufschlagen, überall begegnet uns eine computergenerierte neue
Wirklichkeit, in der nette Herren, die im TV-Studio für Kaffee werben, kurzzeitig
Hundegesichter annehmen, Dinosaurier durch belebte Parks galoppieren oder
glückliche Kühe in die Kamera grinsen. Die Medienindustrie ist heute in der
Lage, die unglaublichsten Scheinwelten hervorzurufen.

Das Verständnis des (fotografischen) Bildes befindet sich durch die Entwicklung
der Computertechnik in einem tief greifenden Wandel: von einem realen,
„greifbaren” Erzeugnis, das anfangs noch als Dokument, als direkter Spiegel
der Realität verstanden wurde, zu einer virtuellen und damit flüchtigen Erscheinung,
der auch der letzte Rest von Beweiskraft für die Wirklichkeit abhanden
gekommen ist.

Die Kunst der Photomontage und Photomanipulation erlebt zurzeit ihre digitale
Verherrlichung und zwar in einer Perfektion, die nun keine Unterscheidung
mehr zwischen „Original und Fälschung” zulässt. Es ist vielleicht nicht zu kurz
gegriffen, dies als „Visuelle Zeitenwende” zu bezeichnen.

In einer Zeit, in der das Montieren von Bildern auf dem PC ein Kinderspiel
geworden ist, lohnt sich ein Rückblick auf die Frühgeschichte der Fotomontage.
Schon damals diente sie in erster Linie der Werbung, dem Kommerz und der
Unterhaltungsindustrie.

Nach den frühesten Experimenten durch Robinson und Rejlander (nach 1857)
und den populären Porträtmontagen Disdéris (seit 1861) erlebte die Fotomontage
in der Jahrhundertwende einen Boom durch die „Postkartenmanie”, als durch
verbesserte Reproduktionsgeräte (so genannte Rotophotmaschinen) riesige
Auflagen von Fotopostkarten möglich wurden.

Im Gegensatz zu den ungleich bekannteren experimentellen Photomontagen
der 1920er Jahre waren diese Photopostkarten massenmediale Erzeugnisse,
meistens ohne Kunstanspruch und zu Tausenden verbreitet. Sie stellten kommerziell
verwertbare, vorgefertigte Bildformeln bereit, in denen sich ein breites
Publikum ästhetisch und inhaltlich wieder finden konnte, ähnlich wie dies die
illustrierten Zeitschriften in der heutigen Zeit tun - und ihre Gestalter experimentierten
mit einer ebenso brisanten Mischung von Kitsch und Genialität
wie heutzutage die Video- und Computerspiel-Industrie.

Die Postkartenindustrie begründete um 1900 mit der länderübergreifenden
Verbreitung dieser Fotomanipulationen ein neues Genre, das der so genannten
Fantasie-Postkarte. „Gemeint sind unterhaltsame Bilder, Glückwunsch- oder
1. April-Karten, in Bilder umgesetzte Sprichwörter, imaginäre, komische oder
auch erotisierende Szenen. Um diese visuellen Kuriositäten zu gestalten,
griffen die für die Verleger tätigen Fotografen zu einer ganzen Palette technischer
Kunstgriffe - Montage, Doppelbelichtung, optische Verzerrung,
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Vita:

Peter Weiss lebt in Hamburg und beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Postkarten.
Er besitzt ein umfangreiches Bildarchiv zu verschiedenen Themen mit dem
Schwerpunkt Fotografie. Publikationen zum Thema Ansichtskarten wie
Reklamekarten, Verlag Birkhäuser 1988, sowie zahlreiche Themenbeiträge für
das Forum „Eines Tages” bei SPIEGEL-ONLINE, www.postcard-museum.com.

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